Trauerrede für Dr. Cicero

hier findet ihr die Worte unseres Philisterseniors Dr. Christoph Haidacher v/o Giovanni, die er am offenen Grab unseres verstorbenen Bundesbruders Dr. Cicero gesprochen hat:

Liebe Trauerfamilie, liebe Freunde des Verstorbenen, liebe Cartell- und Bundesbrüder!
 
Eine Verbindung schöpft ihre Kraft aus der Gesamtzahl ihrer Mitglieder, amicitia-Lebensfreundschaft kann nur gemeinschaftlich gelebt werden. Und trotzdem benötigt es innerhalb einer solchen Wertegemeinschaft auch immer wieder Persönlichkeiten, die hervorragen, die Vorbild sind, die bewegen und die – wie es im ÖCV-Bundeslied heißt – bereit sind, voranzugehen.
Ziemlich genau vor drei Jahren haben wir mit Hanspeter Zobl v/o Apollo einen solchen Leitstern zu Grabe getragen. Und nun ist ein weiterer der Großen unserer Verbindung von uns gegangen. Vergangenen Sonntag, am 12. August 2018, ist Dr. Peter Pichler v/o Dr. cer. Cicero nach kurzer schwerer Krankheit im 89. Lebensjahr aus dieser Welt geschieden.
Als er 1955 im Alter von 26 Jahren quasi als Spätberufener unserem Bund beitrat, deutete noch nichts auf diese bemerkenswerte couleurstudentische Karriere hin. Es waren andere und wohl auch wichtigere Dinge wie Familie oder Beruf, die damals im Fokus des jungen Philister standen.

Fast möchte man meinen, dass es Fügung war, dass sich in den 1970er Jahren mit Josef Kolb, Herwig van Staa, Hanspeter Zobl und Peter Pichler – manch anderer wäre wohl auch noch zu nennen - jene engagierten Führungspersönlichkeiten fanden, die unsere Leopoldina nachhaltig formten und zu jenem blühenden Bund machten, der er heute ist.
Und damals scheint auch jenes couleurstudentische Feuer in Cicero entfacht worden sein, das ihn bis zu seinem Tod nicht mehr loslassen sollte. Diese Begeisterung für das katholische Korporationswesen erschöpfte sich bei ihm nicht im regelmäßigen Besuch von Kneipen, geselligen Zusammenkünften und Bildungsveranstaltungen, er verstand darunter auch die Verpflichtung, sich einzubringen, Aufgaben zu übernehmen. Mit unglaublichem Einsatz, Fleiß und Pflichtbewusstsein nahm er unzählige Chargen und Funktionen innerhalb der Leopoldina, innerhalb des Verbandes und innerhalb seiner insgesamt acht Bandverbindungen wahr.

Die obgenannten Leopolden ergänzten sich mit ihren Talenten und Fähigkeiten in geradezu idealer Weise, wie Zahnräder einer Uhr griffen sie ineinander und brachten – bildlich gesprochen – Leopoldina zum Ticken. Jedem von ihnen war eine Rolle zugedacht, Cicero war für die Finanzen und das Prüfwesen – neudeutsch Controlling – zuständig. Über Jahrzehnte wirkte er als Kassier und unbestechlicher Rechnungsprüfer in den verschiedenen Verbindungen und im Verband. Manchmal vielleicht gefürchtet, jedoch: würden alle Institutionen so sorgsam mit den ihnen anvertrauten finanziellen Mitteln umgehen, wie dies Dr. Cicero getan hat, vieles würde in unserem Gemeinwesen zum Besseren stehen.

Dem Wirken von Cicero und seinen Mitstreitern verdankt die Leopoldina ihre heutige solide – Understatement ist erlaubt – materielle Basis, durch die nicht nur die Verbindung auf Dauer abgesichert ist, sondern auch vielen jungen Bundesbrüdern und Farbengeschwistern eine günstige Wohnmöglichkeit während ihres Studiums geboten werden kann.
Auch der Österreichische Cartellverband hat von diesem Engagement Dr. Ciceros und anderer Leopolden Nutzen gezogen. Durch ihr beherztes Vorgehen, verbunden mit unternehmerischem Wagnis und gegen manche „Wiener“ Widerstände, würde das Haus Lerchenfelderstraße 14 in Wien für den ÖCV dauerhaft gesichert, so dass dieser heute – dank Leopoldina, dank Dr. Cicero und seiner Mitstreiter – eine adäquate Repräsentanz besitzt.

Dieser Einsatz für die finanziellen und wirtschaftlichen Belange der Leopoldina und des Verbandes bildete aber nur die eine Seite des Couleurstudenten Cicero. Er sah sich auch als der Historiograph unserer Verbindung. Neben Familie und Beruf, neben seinen obbeschriebenen Funktionen steckte er unheimlich viel Arbeit und viel Enthusiasmus in die Dokumentation der Geschichte der Leopoldina und ihrer Mitglieder. Unzählige Publikationen legen davon Zeugnis ab, allen voran die beiden 1976 und 2001 erschienenen umfangreichen Bände unserer Verbindungsgeschichte; knapp vor Erscheinen des dritten Bandes – Cicero war gerade dabei, die Druckfahnen zu korrigieren – ereilte ihn der Tod. Wir sehen es als unsere selbstverständliche Verpflichtung an, dieses sein letztes Geschenk an Leopoldina posthum zu publizieren.

Die Spuren seiner vielen Tätigkeiten finden sich überall: im Verbindungsarchiv, in der Standesführung, in den vielen hinterlassenen Filmen und Fotos. Seine ihm eigene Genauigkeit, sein Hang zur Perfektion, seine Beharrlichkeit, sein Pflichtbewusstsein, all diese Eigenschaften wollte er auch bei seinen Bundesbrüdern sehen. Dies stieß nicht immer auf ungeteilte Zustimmung, nicht wenige von uns sahen die Dinge manchmal etwas lockerer, so dass es – wie so oft im Zusammenleben von Menschen – auch zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten kam. Vielleicht war es uns manchmal zu wenig bewusst, dass die Vehemenz, mit der Cicero seine Anliegen und Standpunkte vertrat, schlichtweg in der Begeisterung für Leopoldina wurzelte, in seinem Bestreben, für die Verbindung Gutes zu tun, weshalb wir ihm manch strenges Wort gerne nachsehen.

In dem Maße, in dem sich Dr. Cicero – seinem fortgeschrittenen Alter Rechnung tragend – aus dem aktiven Geschehen bei Leopoldina, bei seinen Bandverbindungen und im Verband zurückzog und diese Aufgaben Jüngeren überließ, erhielt die Person von Pater Franz Reinisch für ihn immer mehr Bedeutung. Franz Reinisch, Leopolde und Sternkoronist, wurde wegen Wehrdienstverweigerung 1942 von den Nationalsozialisten hingerichtet. Mit großem Einsatz hielt er die Erinnerung an diesen Märtyrer aus unseren Reihen wach und setzte sich über viele Jahre für seine Seligsprechung ein; seine 2012 erschienene Publikation über das Leben und Wirken von P. Reinisch stellte die Krönung seiner diesbezüglichen Bemühungen dar.

Cicero konnte oft streng sein, für Schlamperei und ungenügende Amtserfüllung brachte er wenig Verständnis auf, andererseits zeigte sich gerade bei der Beschäftigung mit P. Reinisch seine sehr feinfühlige, seine sehr emotionale Seite. Aus vielen Gesprächen mit ihm weiß ich, dass es sein größter Wunsch gewesen wäre, die Seligsprechung dieses Leopolden noch zu erleben; wenn er über ihn Vorträge hielt, dann merkte man, wie nahe ihm dessen Schicksal ging, wie tief es ihn berührte; ich glaube mich nicht zu täuschen, dass die konsequente Art, mit der P. Reinisch zu seinen Überzeugungen stand, Dr. Cicero sehr imponierte; in mancherlei Hinsicht waren sie sich nicht so unähnlich. Lieber Cicero: Ich bin überzeugt, dass Dein letzter Wunsch in Erfüllung geht. Du wirst die Seligsprechung von P. Reinisch erleben, wenn auch in der jenseitigen Welt.

Leopoldina verdankt ihrem Dr. Cicero unendlich viel. Es wird ungewohnt sein, wenn bei den Kommersen sein Platz rechts vorne an der Kneiptafel leer bleiben wird, wenn niemand mehr den Einzug der Chargierten filmen wird, der Consenior nicht mehr von ihm die Begrüßungsliste erhält, niemand mehr bei den Conventen Dinge anmahnt, die zu tun sind.
Leopoldina hat Dich, lieber Dr. Cicero, für Deine großen Verdienste mehrfach ausgezeichnet; ich weiß, dass Dir solche Ehrungen viel bedeutet haben. Ich bin aber auch überzeugt, dass wir Dir und Deinen Verdiensten für Leopoldina noch viel mehr gerecht werden, wenn wir uns nicht nur heute, sondern auch in Zukunft Deines vorbildhaften Wirkens erinnern und Dir ein ehrenden Andenken bewahren.

Ich darf, im Wissen um Deine enge Bindung an Deine zweite ÖCV Verbindung, die Glückauf Leoben, mit der letzten Strophe aus dem Tarnowitzer Glöcklein enden:
Und sollte einst in dieser Nacht Mein letztes Stündlein schlagen,
so stört uns doch kein Ungemach, Gott hilft mir alles tragen.
Dann eilen wir mit frohem Sinn nach unsrer Heimat droben hin,
vom Erdental hinauf: Glück auf, Glück auf!
 
Immobiles sicut patriae montes – Fest wie die Berge der Heimat
Fiducit toter Bruder